Prof. Dr. Heinrich Honsell (Universität Zürich, Schweiz)
Das Einheitliche UN-Kaufrecht (CISG) aus schweizerischer Sicht: Anwendungsbereich.


II. Anwendungsbereich

1. Niederlassung der Parteien in verschiedenen Staaten

Der Anwendungsbereich wird in Art. 1-6 bestimmt. Nach Art. 1 Ia ist das CISG anwendbar, wenn Verkäufer und Käufer ihre Niederlassungen bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Es kommt nicht darauf an, ob Vertragserklärungen oder die Kaufsache die Grenze überschreiten. Art. 1 II stellt darauf ab, ob die Tatsache der Niederlassung der Parteien in verschiedenen Vertragsstaaten bei Vertragsschluss erkennbar geworden ist, sei es aus dem Vertrag, den Vertragsverhandlungen oder früheren Geschäftsbeziehungen. Nationales Recht ist also anwendbar bei Einkäufen, die man etwa im Rahmen einer Auslandsreise tätigt. Der Konsumentenkauf (Waren für den persönlichen Gebrauch usw.) fällt nach Art. 2 Ia ohnehin nicht unter das Abkommen. Eine erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereichs enthält Art. 1 Ib. Danach gilt das CISG auch, wenn das internationale Privatrecht des Forumstaates zur Anwendung des Rechtes eines Vertragsstaates führt (sog. Vorschaltlösung). Exportiert also z. B. ein Schweizer Unternehmen in einen Nichtvertragsstaat, so ist nach Art. 118 IPRG (i. V. m. Art. 3 des Haager Übereinkommens vom 15. Juni 1955 - SR 0.221.211.4) schweizerisches Recht und damit Wiener Kaufrecht anwendbar, weil die charakteristische Leistung vom Verkäufer erbracht wird.

Die Parteien können die Anwendung des Übereinkommens ausschliessen. Bei einer Rechtswahlklausel, die auf schweizerisches Recht verweist, wird im allgemeinen das Obligationenrecht gemeint sein und nicht das Wiener Kaufrecht; doch ist dies strittig. Es empfiehlt sich daher der ausdrückliche Ausschluss des Wiener Kaufrechts.

2. Kauf. Kaufgegenstand

Auffällig ist, dass das CISG den Kauf nicht definiert. Man wird davon ausgehen dürfen, dass die herkömmliche Definition (Kauf ist Austausch von Ware gegen Geld) auch für das CISG gilt. Leasingverträge fallen daher wegen ihrer mietrechtlichen Komponente nicht unter das Abkommen.

Eine Abweichung vom schweizerischen Recht enthält Art. 3, der den Werklieferungsvertrag (bei dem der Unternehmer den Stoff zur Verfügung stellt) dem Kauf gleichstellt. Das OR kennt den Werklieferungsvertrag nicht, sondern verweist nur fallweise auf Kaufrecht (vgl. z. B. OR 365 I).

Unanwendbar ist das Abkommen auf Verträge, bei denen der überwiegende Teil der Pflichten der Partei, welche die Ware liefert, in der Ausführung von Arbeiten oder anderen Dienstleistungen besteht (Art. 3 II). Der Kauf von Maschinen oder Industrieanlagen mit Montageverpflichtung wird in aller Regel ohne weiteres unter das Wiener Kaufrecht fallen. Dasselbe gilt für den Verkauf von Geräten mit der Verpflichtung zur Einschulung des Personals des Käufers usw.

Anders als OR 184 spricht das CISG nicht allgemein von Kaufgegenständen, sondern nur von Waren. Damit sind alle beweglichen Sachen gemeint. Rechte fallen nicht unter das CISG. Art. 2 zählt diejenigen Kaufverträge auf, für die das Abkommen nicht gilt. Neben dem bereits erwähnten Konsumentenkauf werden Versteigerungen, Veräusserungen im Wege der Zwangsvollstreckung u. ä., der Verkauf von Wertpapieren sowie von Seeschiffen und Luftfahrzeugen genannt; schliesslich der Verkauf von elektrischer Energie. Alle diese Ausnahmen verstehen sich mehr oder weniger von selbst. Elektrische Energie lässt sich nicht unter den Begriff der Ware subsumieren (auch nicht unter den Terminus good oder marchandise). Der innere Grund ist freilich der, dass die Lieferungen von elektrischer Energie schon im Hinblick auf Besonderheiten, die sich aus der Leitungsgebundenheit, der Leistungsvorhaltung usw. ergeben, stets im Rahmen besonderer Lieferverträge erfolgt. Seeschiffe und Luftfahrzeuge werden in vielen Rechtsordnungen ähnlich wie Grundstücke behandelt. Es gibt Register, besondere Pfandrechte usw.