Prof. Dr. Walter Stoffel (Universität Fribourg, Schweiz)
Grundzüge des Konventionsrechts: Rechte und Pflichten der Parteien.


Quelle
Walter Stoffel, Ein neues Recht des internationalen Warenkaufs in der Schweiz: C. Grundzüge des Konventionsrecht S. 175-178. Schweizerische Juristen-Zeitung, Heft, 10/1990, Schulthess, Zürich.


C. Grundzüge des Konventionsrechtes

2. Rechte und Pflichten der Parteien

Die Konvention regelt die Erfüllungsmodalitäten detaillierter als das schweizerische Recht. Nicht weniger als 54 (dispositive) Artikel umschreiben die Vertragspflichten der Parteien. (46).

Der Verkäufer hat vertragsgemässe Ware zu liefern. Diese Pflicht erfüllt er, wenn die gelieferte Ware in vierfacher Hinsicht den Anforderungen des Vertrages entspricht: hinsichtlich der Menge, hinsichtlich der Qualität, hinsichtlich der Art, sowie hinsichtlich der Verpackung (Art. 35 Abs. 1). Im Vordergrund steht der Verwendungszweck der Ware, weshalb die Umschreibung der geplannter Verwendung bei der Vertragsgestaltung unter der Wiener Konvention von besonderer Bedeutung sein wird. Qualität und Art sind genügend, wenn die Ware für den Zweck geeignet ist, für welche "Ware der gleichen Art gewöhnlich gebraucht wird" (Art. 35 Abs.2 Bst. a), oder wenn sie sich für den Zweck eignet, welchen der Käufer bei Vertragsabschluss ausdrücklich bestimmt hat (Art. 35 Abs.2 Bst. b ) (47).

Die Konvention regelt sodann die Modalitäten der Erfüllung durch den Verkäufer wie Lieferungszeitpunkt (Art. 33 f.), Erfüllungsort (Art.31) und Berförderungspflichten (Art. 32). Hinsichtlich des Lieferungszeitpunktes stellt die Konvention in charakteristischer Weise die subsidiäre Regel auf, dass der Verkäufer die Ware "innerhalb einer angemessenen Frist" zu liefern habe (Art.33 Bst. c). Hervorzuheben ist die Umschreibung des Erfüllungsortes, welchem wegen seiner Implikationen auf den Gerichtsstand in Zukunft wieder vermehrtes Gewicht zukommen dürfte (48). Erfordert der Kaufvertrag eine Beförderung, so hat der Verkäufer die Ware dem ersten Beförderer zu übergeben, während er sie sonst am Lager- oder Erzeugungsort bereit halten kann (was der Regel von Art. 74 Abs.2 Ziff. 2 OR entspricht);subsidiär gilt die Niederlassung des Verkäufers als Erfüllungsort (Art.31).

Der Käufer hat die Pflicht, den Kaufpreis zu bezahlen. Überdies hält die Konvention ausdrücklich fest, dass er alle Massnahmen treffen und Formalitäten erfüllen muss, welche erforderlich sein können, damit die Zahlung geleistet werden kann (Art. 54). Damit ist vor allem an seine Mitwirkung für administrative Bewilligungen und Devisenvorschriften gedacht. Die Konvention regelt ausserdem den Zahlungsort (Art.57) und den Zahlungszeitpunkt (Art.58). In dieser Hinsicht sieht sie als Auffangregel vor, dass der Käufer den Preis erst entrichten muss, wenn er Gelegenheit hatte, die Ware zu untersuchen, "es sei denn, die von den Parteien vereinbarten Lieferungs- oder Zahlungsmodalitäten bieten hierzu keine Gelegenheit" (Art.58, Abs. 3). Bei verspäteter Zahlung sind grundsätzlich Zinsen geschuldet (Art.78), doch konnte man sich in Wien nur über den Grundsatz, nicht aber über die Höhe derselben einigen (49), so dass hierfür auf das anwendbare Landesrecht zurückzugreifen ist. Schliesslich enthält die Konvention eine Regel, wenn von den Parteien kein Kaufpreis festgelegt wurde: in diesem Fall ist derjenige Preis geschuldet, der bei Vertragsabschluss allgemein für die entsprechende Ware unter vergleichbaren Umständen berechnet wurde (Art.55) (50).

Nicht geregelt von der Konvention ist der Übergang des Eigentums (Art.4 Bst. b). Die Konvention setzt aber genaue Regeln für den Übergang der Gefahr. Ausgangspunkt ist auch hier der Versendungskauf, bei welchem die Gefahr an den Käufer übergeht, sobald die Ware vertragsgemäss dem ersten Beförderer übergeben wurde (Art.67). Bei Ware, die sich auf dem Transport befindet, geht die Gefahr schon mit Abschluss des Vertrages über (Art. 68). Verlangt der Kaufvertrag keine Beförderung und betrifft er auch keinen Kauf von Ware, die sich schon auf dem Transport befindet, geht die Gefahr erst dann an den Käufer über, wenn er die Ware übernimmt oder wenn sie ihm mit seiner Kenntnis zur Verfügung gestellt wird und er sie vertragsgemäss zu übernehmen hatte (Art.69).

3. Verzugsfolgen

Grundsätzlich haben die Parteien bei Vertragsverletzungen durch die andere Partei die Ansprüche auf Erfüllung, Vertragsaufhebung und Schadenersatz; bei Vertragsverletzungen des Käufers kommt dazu das Recht des Käufers auf Minderung (51). Dabei unterscheidet die Wiener Konvention nach der Intensität der Vertragsverletzung, d.h. danach, ob eine Vertragsverletzung "wesentlich" ist oder nicht. Im einzelnen:

Bei einer Vertragsverletzung des Verkäufers verbleibt dem Käufer vorerst der Anspruch auf Vertragserfüllung. Im Unterschied zu dem Commom Law-Staaten umfasst dieser auch die Realerfüllung, allerdings nur dann, wenn das zur Entscheidung berufene Gericht zu einem Rechtskreis gehört, welcher die Realerfüllung als solche kennt (Art.28). Daneben hat der Käufer das Recht auf Aufhebung des Vertrages (gegebenenfalls vorerst aur Suspendierung), auf Minderung des Kaufpreises, sowie (alternativ oder kumulativ) auf Schadenersatz (52). Analoges (mit Ausnahme der Minderung) gilt zugunsten des Verkäufers bei Vertragsverletzungen des Käufers (Art. 61 ff.).

Die Wiener Konvention differenziert die Verzugsfolgen nach dem Kriterium der "wesentlichen Vertragsverletzung". Lediglich bei Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung kann der Käufer die Aufhebung des Vertrages erklären (Art. 49 Abs. 1 Bst. a, 72 f) oder Ersatzlieferung verlangen (Art.26 Abs.2). Ausserdem hindert eine wesentliche Vertragsverletzung den Gefahrenübergang (Art.70). Ist die Vertragsverletzung keine wesentliche, kann der Käufer lediglich Nachbesserung verlangen (Art. 46 Abs.3) oder mindern (Art. 50).

Weder Nichtlieferung noch nicht-vertragskonforme Lieferung bilden per se eine wesentliche Vertragsverletzung. Bei Nichtlieferung kann der Käufer erst durch die Ansetzung einer Nachfrist die Wesentlichkeit provozieren (Art. 49 Abs.1 Bst.b), während sich die Vertragskonformität ausschliesslich nach materiellen Gesichtspunkten beurteilt. Diese umschreibt die Konvention in Art. 25. Danach ist eine Vertragsverletzung dann wesentlich, wenn die einen solchen Nachteil zur Folge hat, dass der anderen Partei "im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen"; notwendig ist ausserdem, dass dieser wesentliche Nachteil von der vertragsbrüchigen Partei oder einer "vernünftigen Person in gleicher Stellung" vorhersehbar war.

Mit der besonderen Behandlung der wesentlichen Vertragsverletzung lehnt sich die Konvention an die Doktrin des "fundamental breach" des Common Law an. Gleichzeitig stellt sie sich dezidiert auf den Boden eines einheitlichen Systems der Verzugsfolgen, ohne nach Nicherfüllung und Schlechterfüllung zu unterscheiden. Die dadurch gewonnenen Differenzierungsmöglichkeiten (53) werden es dem Richter in der Regel besser erlauben, den Interessen beider Parteien angemessen Rechnung zu tragen. Die Regelung der Verzugsfolgen in der Wiener Konvention bildet daher ein erfreuliches Resultat einer auf Rechtsvergleichung gegründeter, internationaler Rechtsharmonisierung. Sie bringt gegenüber dem schweizerischen (und gegenüber anderen kontinentalen Rechtssystemen) (54) sowie auch gegenüber dem Recht der Common Law-Länder (55) einen echten Fortschritt.

4. Verschulden, Rügepflicht und Schadenersatz


Der Verkäufer haftet verschuldensunabhängig für die Vertragsmässigkeit der Ware und ihre Freiheit von Rechten Dritter.

Seine Haftung hängt dagegen von der Erfüllung der Prüfungs- und Anzeigepflicht durch den Käufer ab, welche dieser "innerhalb einer angemessenen Frist" auszuüben hat, in jedem Falle aber spätestens innerhalb von zwei Jahren seit Übergabe der Ware (Art.39). Die "angemessene" Frist tritt anstelle der "kurzen" Frist des Haager einheitlichen Kaufrechtes, welche sehr rigide war und deren strikte Handhabung durch die Gerichte zahlreiche Gewährleistungsansprüche scheitern liess. Sie wird zusätzlich dadurch gemildert, dass der Käufer sein Preisminderungsrecht und das Recht auf Schadenersatz, jedoch ohne entgangenen Gewinn, behält, wenn er für das Versäumen seiner Anzeigepflicht eine "vernünftige Entschuldigung" hat (Art.44); mit dieser Ausnahme wurde einem Begehren der Entwicklungsländer entsprochen, welche befürchteten, dass auch die zweijährige Frist in vielen Fällen zu knapp sein werde.

Das Recht auf Schadenersatz wird von der Konvention im Abschnitt über die gemeinsamen Bestimmungen geregelt (Art.74 ff). Der Schadenersatz wird als der von der anderen Partei "infolge der Vertragsverletzung entstandene Verlust einschliesslich des entgangenen Gewinnes" definiert und ist grundsätzlich unabhängig von den anderen Rechtsbehelfen (Art. 74). Der Käufer kann den Schaden auf Grund der Differenz zum Preise eines Deckungskaufes oder in abstracto beziffern (Art.75 und 76). Begrenzt ist die Schadenersatzpflicht jedoch durch das Kriterium der Vorhersehbarkeit und insbesondere durch die Befreiungsklausel. Der Schuldner soll einerseits nicht einstehen müssen für einen Schaden, den er bei Vertragsagschluss als mögliche Folge einer Vertragsverletzung nicht vorausgesehen hat oder hätte voraussehen müssen (Art.74, 2.Satz) (56). Er haftet andererseits dann nicht, wenn er nachweist, dass die Vertragsverletzung auf einen Hinderungsgrund zurückzuführen ist, der ausserhalb seines Einflussbereiches liegt und den er vernünftigerweise nicht vermeiden konnte (Art.79) (57).

Die Gründung des Schadenersatzanspruches auf Vorhersehbarkeit und Befreiungsmöglichkeit ist für den kontinentalen Juristen ungewohnt. Sie basiert nicht auf dem Verschulden, stellt aber auch keine Kausalhaftung dar, sondern operiert eher mit dem Begriff der Zurechenbarkeit. Das System existierte bereits im Haager Recht und scheint den Gerichten keine aussergewöhnliche Mühe bereitet zu haben. (58). Ob das so bleibt, wird sich weisen müssen. Jedenfalls bietet auch diese Regelung des Wiener Rechtes eine frische Betrachtungsweise, deren dynamisches Potential auch über das (internationale) Kaufrecht hinaus befruchtend wirken dürfte



   Anmerkungen:


46. Nämlich im Teil III die Kapitel II (Pflichten des Verkäufers), III (Pflichten des Käufers) und V (Gemeinsame Bestimmungen über die Pflichten des Verkäufers und des Käufers).

47. Die entsprechende Bestimmung in Art. 35 Abs. 2 lautet in ihrem vollständigen Text: "Haben die Parteien nichts anderes vereinbart, so entspricht die Ware dem Vertrag nur,
a) wenn sie sich für einen bestimmten Zweck eignet, für die Ware der gleichen Art gebraucht wird;
b) wenn sie sich für einen bestimmten Zweck eignet, der den Verkäufer ber Vertragsabschluss ausdrücklich oder auf andere Weise zur Kenntnis gebracht wurde, sofern sich nicht aus den Umständen ergibt, dass der Käufer auf die Sachkenntnis und das Urteilsvermögen des
Verkäufers nicht vertraut oder vernünftigerweise nicht vertrauen konnte;
c) wenn sie die Eigenschaften einer Ware besitzt, die der Verkäufer als Probe oder Muster vorgelegt hat;
d) wenn sie in der für Ware dieser Art üblichen Weise oder, falls es eine solche Weise nicht gibt, in einer für die Erhaltung und den Schutz der Ware angemessenen Weise verpackt ist."
48. Art. 113 IPRG hat im internationalen Vertragsrecht den Erfüllungsort als Gerichtsstand eingeführt, sofern der Beklagte nicht in der Schweiz wohnt. Das Lugano-Übereinkommen, welches des Bundesrat in der Zwischenzeit ebenfalls zur Ratifikation vorgeschlagen hat, generalisiert diesen Gerichtsstand europaweit (Art.5 Ziff.1 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988); vgl. Hierzu P.Volken: Das Lugano-Übereinkommen vom 16. September 1988, SJIR 1988, 561 ff. (mit Text der Konvention auf 566 ff.); ders.: Das EG / EFTA-Parallel-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, SJIR 1987 97-128, bes. 105-107, 125-128.

49. Zinsfestlegung und Ersatz von Währungsschaden gaben unter dem Haager Recht überproportional häufig Anlass zu Streitigkeiten. Dies aber gerade aus dem umgekehrten Grunde, nämlich weil das Einheitsrecht zu spezifisch (und rigide) war, indem es die Verzugszinsen auf 1% über dem amtlichen Diskontsatz am Sitz des Verkäufers festlegte, unabhängig von der geschuldeten Währung: B.Piltz: Die Rechtsprechung zum Haager Einheitlichen Kaufrecht, RIW 32 (1986) 167-172, 172.

50. Die Bestimmung steht in einem gewissen Widerspruch zu Art. 14 Abs. 1.,nach welchem eine Offerte nur dann gültig ist, wenn sie einen bestimmten oder bestimmbaren Preis festsetzt. Mit dieser Bestimmung wollte man zum Ausdruck bringen, dass die Festsetzung des Kaufpreises zum wesentlichen Vertragsinhalt gehört. Der Widerspruch hat schon viel Kopfzerbrechen verursacht und wird meist als unüberbrückbar erachtet (vgl. Die Hinweise bei Stoffel (zit. Anm. 16) 62 ff.; Plantard (zit. Anm. 11) 347 f.; Schlechtriem (zit. Anm. 44) 1041 2.Spalte). Bucher (zit.Anm.4) 142, versucht das Problem so zu lösen, dass er die beiden Bestimmungen auf verschiedene Streitlagen bezieht: "Streiten die Parteien vor der Vertragsabwicklung über das Bestehen eines Vertrages, ist es genau bestimmter oder mit weitgehender Präzision zu bestimmender oder mit weitgehender Präzision zu bestimmender Preis Voraussetzung der Vertragsgültigkeit bzw. der Gebundenheit der Parteien; ist die Ware bereits (einvernehmlich) geliefert, kann die Tatsache fehlender Preivereinbarung nicht hindern, dass der Verkäufer eine vertragliche Vergütung (d.h. einen Preis) bekommt und nicht etwa auf einen Rückforderungs- oder Bereicherungsanspruch verwiesen ist."

51. Vgl. hinzu die Referate des Lausanner Kolloquiums (zit. Anm.16) zu den Rechten und Pflichten von Verkäufer und Käufer von P. Tercier (S.120 ff) und P. Widmer (S.91 ff.) sowie von A. Farnsworth (S.83 ff.) und J.-P. Plantard (S.112 ff.).

52. Die verschiedenen Ansprüche sind geregelt in den Abschnitten über die Rechtsbehelfe des Käufers wegen Vertragsverletzungen und Verträge über aufeinanderfolgende Lieferungen (Art. 71 ff.), über die Wirkungen der Aufhebung (Art. 81 ff.) sowie über den Schadenersatz (Art.74 ff.).

53. Vgl. hierzu u.a. Schlechtriem (zit. Anm.44) 1044f.

54. E.von Caemmerer: Internationale Vereinheitlichung des Kaufrechtes, SJZ 77 (1981) 257 ff., 264; Widmer (zit. Anm. 51) 95. Dies entspricht auch dem Standpunkt der neueren schweizerischen Doktrin: vgl. Giger, N 13 ff., Vorbemerkungen zum Art. 197-210 OR; P.Tercier: La partie speciale du Code des obligations (Zürich 1988) Nr. 257 f.; zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung: Bucher (zit. Anm. 4) 68 f., 102-107.

55. Beispielsweise hinsichtlich der Institution der Nachfrist: Farnsworth (zit. Anm. 51) 105.

56. Mit dem Kriterium der Vorhersehbarkeit kamen die Gerichte unter dem Haager Recht gut zu Rande: Piltz (zit. Anm. 49) 172. Vgl. Zur Vorhersehbarkeit allgemein P.Schlechtriem im Lausanner Kolloquium (zit. Anm. 16) 149 ff., 165-169.

57. Schlechtriem (zit. Anm. 44) 1047; F. Vischer am Lausanner Kolloquium (zit. Anm. 16) 173 ff.

58. B.Piltz: Praktische Erfahrungen in Deutschland mit dem Einheitlichen Kaufgesetz, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht (zit. Anm. 26) 37-48, 43.